Ausstellungsbetrachtung von Manuel Hase

Sie wollen sich in einen Prozess des Übergangs begeben? Dann sollten Sie der aktuellen Ausstellung „Crossing“ in der Essener Galerie Gublia einen Besuch abstatten. Dort präsentiert die Galeristin Irma Gublia, bis zum 07. November 2020, zwei höchstinteressante zeitgenössische Kunstpositionen. Die beiden Künstler Katharina Lökenhoff (Essen) und Karem Ibrahim (London/Kairo) widmen sich in Ihrer umfangreichen ersten gemeinsamen Galerie-exposition in Deutschland dem elementaren Thema des „Dazwischen“. Beide schaffen in Ihrer Kollaboration ein intensives Erfahrungsfeld zum Prozess des Übergangs, welcher unter Einsatz verschiedenster Materialien einen scheinbar fließenden Übergang zwischen Malerei Bildhauerei, Installation und Performance schafft. Auf Basis Ihrer individuellen Lebenserfahrungen gehen beide Künstler der existentiellen Frage der Schwellen unserer Zeit und des menschlichen Seins im aktuellen gesellschaftlichen Kontext nach.

Die Essener Künstlerin Katharina Lökenhoff führt auf Basis Ihres seit 2018 bestehenden Projekts „Crossing“ weltweit mit Künstlern Interviews zum Thema „Schwellenübergänge“ durch. Darin ist Lökenhoff auf der Suche nach nachhaltigen Lebensstrategien und diskutiert mit Ihren Gesprächspartnern den Umgang mit eigenen Handlungsbedingungen im Kontext einer Einheit von Körper, Geist und Natur. Im Hier und Jetzt plädiert sie darin für das gesellschaftliche Ziel einer Erhaltung natürlicher Lebensräume und natürlicher Lebensfreude. Diese Maxime hat Lökenhoff während Ihrer zahlreichen Reisen nach Island („Leben in Einfachheit“), Finnland, Ägypten, Libanon und Südafrika immer wieder mit unterschiedlichsten Künstlerinnen und Künstlern, langjährigen Weggefährten, Freundinnen und Freunden ergründet. Die kosmopolitische Transfererfahrungen bestimmen ganz wesentlich Lökenhoffs’ Wahrnehmung und ihren schieren Drang nach Wissen und Austausch im gegenseitigen Miteinander. Im Kontext der aktuellen Ausstellung findet sich diese künstlerische Praxis im Erforschen einer verbindenden Universalität wieder. Unter Einsatz der Materialien Wachs und Seide, welche bei Lökenhoff im Bezug zur Welt der Bienen als Idealform für Gemeinschaft stehen, bildet sie damit eine der menschlichen Haut ähnliche Trennlinie, bzw. Membran. Diese sowohl materiellen, sowie ideelle Schwelle zwischen Innen und Außen bedingt einander und steht unabhängig Gegenständlichkeit und Abstraktion. Der letztere Dualismus ist dabei elementar im Kontext der Betrachtungsweise zu den femininen Darstellungskomponenten in Lökenhoffs’ Werk. Entgegen einer religiösen oder gar feministischen Intention dient die feminine Physis als Befreiungsmetaphorik von Illusion. Somit entsteht eine Begegnungsoberfläche, die bei Lökenhoff eine Reinform von Lebenskraft symbolisiert und manifestiert. Die im Rahmen der Ausstellung „Crossing“ entstandenden Membran-Arbeiten sind somit Korrelationen von bestimmten Bewusstseinszuständen und zugleich Transformations-Instrument. Sie befördern ein semantisches Sehen.

In Kooperation mit dem Künstler Karem Ibrahim, welcher seit Jahren zu dem Phänomen trennender Barrieren arbeitet, die Konflikte und Entfremdungen hervorrufen (wie z.B. in der Installation „RandomlySelected“ innerhalb des Projekts „In Search of Europe“ 2013 in Berlin und das Projekt „All what remains is your“ in AVA Kai Tak, Hong Kong) sind nun, nach einer ersten Kollaboration im Februar 2019 in Kapstadt, Metall-Objekte als Stationen entstanden, die ausgehend von archaischer Ursprung auf eine klimatische Individualisierung der Form abzielen. In grundlegend gemeinsamer Co-Autorenschaft greifen beide die von Ibrahim seit anno 2003 angewandte künstlerische Verwendung von Alltagsmaterial auf. So werden gebrauchte Metallregale bewusst durch den handwerklichen Prozess des Schweißens, zu um Lökenhoffs Membranen ergänzten, Kunstobjekten. Diese bewusste Transformation in eine neue Bedeutungsebene, verbunden um kritische Fragen nach dem Umgang mit Umgang mit Materialien, welches sich selbst an der „Schwelle“ befindet und sich somit radikal gegen eine der Konsumwirtschaft eigenen Überproduktion richtet. So äußert sich Karem Ibrahim selbst zu dieser Haltung wie folgt: „Kunst dient nicht als Unterhaltung sondern als Raum für gemeinsame Ideen für eine nachhaltige, naturverbundene und individuelle Lebensführung.“

Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung sind vor diesem Hintergrund dazu aufgefordert, die „Crossing“-Objekte als Emotionskatalysatoren für die menschlichen Wahrnehmungsebenen anzunehmen. Die in der Galerie Gublia präsentierten Werke sind somit selbst das Medium und die künstlerischen Schwellen, welche die Möglichkeit eines Innehaltens und Durchgehends ermöglichen. Sie stellen in Ihrer Vielfalt der künstlerischen Kollaboration das „Dazwischen“ der Schwelle selbst in das Zentrum und laden Sie, liebe Besucherin und Besucher, herzlich zu einer gedanklichen Reise ins Ungewisse ein.